EU-Asylrecht: Menschen ohne Prüfung abschieben ist «Tabubruch»
Die EU-Innenminister wollen das Asylrecht drastisch verschärfen. Menschen sollen an der Grenze interniert und ohne Prüfung abgeschoben werden können.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Innenminister der EU haben sich auf eine Verschärfung des Asylrechts geeinigt.
- Künftig sollen manche Migranten direkt an den Aussengrenzen interniert werden.
- Auch sollen Migranten ohne Prüfung des Asylantrags abgeschoben werden können.
- Amnesty International bezeichnet die Reform als «menschenrechtlichen Tabubruch».
Die EU-Staaten haben sich auf dem Treffen der Innenminister doch noch auf eine Reform des Asylrechts geeinigt. Die schwedische Vorsitzende des Gipfels spricht anschliessend von «Solidarität». Solidarität gegenüber den Staaten an der EU-Aussengrenze, nicht gegenüber den Menschen, die auf dem Mittelmeer in Lebensgefahr schweben. Auf letztere rollt eine drastische Verschärfung des Asylrechts zu.
EU will Geflüchtete an Grenze internieren
Die EU will Menschen ohne Bleibeperspektive schneller abschieben. Dafür sollen Personen aus als sicher geltenden Ländern nach Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen.
Voraussetzung ist, dass sie aus Ländern kommen, deren Anerkennungsquote unter 20 Prozent liegen. Ausnahmen für Familien mit Kindern sind nicht vorgesehen.
Das beschleunigte Verfahren für die in den Lagern internierten Migranten sollen nicht länger als sechs Monate dauern. Wie die Nachrichtenagentur sda schreibt, sollen Asylanträge im Normalfall innert zwölf Wochen geprüft werden.
Innenminister wollen ohne Prüfung des Asylantrags abschieben
Noch schneller geht Abschieben nur, wenn Asylanträge gar nicht mehr geprüft werden. Auch das wollen die Innenminister, lassen es in der offiziellen Ratsmitteilung unerwähnt. Medienberichten zufolge sollen Menschen, die aus als sicher erklärten Drittstaaten einreisen, direkt in selbige zurückgeführt werden.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat bereits vor Ende des Innenminister-Gipfels Alarm geschlagen. Die Reform sei ein «menschenrechtlicher Tabubruch».
Tareq Alaows, der flüchtlingspolitische Sprecher von Pro Asyl, spricht von einem «frontalen Angriff auf die Menschenrechte».
Der Club der Unwilligen hat sich geeinigt. Die Zustimmung zur #Moria Verordnung ist ein frontaler Angriff auf das Asylrecht.
— Tareq Alaows (@Tareq_Alaows) June 8, 2023
Die #Ampel trägt diese Einigung um jeden menschenrechtlichen Preis. pic.twitter.com/B5uHVVgSW7
Insbesondere besorgt zeigt man sich von der Drittstaaten-Regelung. «Asylanträge können so pauschal als unzulässig abgelehnt werden und die Gefahr völkerrechtswidriger Kettenabschiebungen in Herkunftsländer wie Syrien oder Afghanistan wäre deutlich erhöht», schreibt Amnesty.
Mit «Kettenabschiebung» gemeint ist etwa folgendes: Deutschland schiebt einen vor den Taliban geflüchteten Afghanen in die «sichere» Türkei ab. Die Türkei wiederum schiebt den Geflüchteten nach Afghanistan ab, was in Deutschland so nicht möglich gewesen wäre.
Welche Drittstaaten als sicher eingestuft würden, ist noch nicht festgelegt. Ein denkbarer Drittstaat wäre die Türkei allemal, mit der die EU 2016 einen Flüchtlingspakt geschlossen hat. Dieser sieht ähnliches vor und stand dafür heftig in der Kritik.
EU will Asyl-Freikauf ermöglichen
Die Innenminister der EU wollen mit ihrer Reform auch die von Migration stark belasteten Staaten an der Aussengrenze unterstützen. Die Verteilung von Geflüchteten innerhalb der EU soll verpflichtend werden.
Staaten, die sich dem entziehen wollen, sollen sich davon freikaufen dürfen. 20'000 Euro würde ein nicht aufgenommener Geflüchteter kosten. Dieses Geld soll wiederum an durch Migration stark belastete Staaten fliessen.
Der Kompromiss der Innenminister ist kein Gesetz. Dafür muss er erst durch das Europäische Parlament gebracht werden; Änderungen sind also noch möglich.
Die sda weist darauf hin, dass die Verhandlungen im EU-Parlament «im Idealfall noch vor Ende Jahr abgeschlossen werden». So könnten die Gesetze noch vor der Europawahl im Juni 2024 beschlossen werden. Gelingt das nicht, könnten die veränderten politischen Kräfteverhältnisse in Brüssel Neuverhandlungen nötig machen.