Gotthard: Experten warnen vor neuen Güterzug-Unfällen mit Toten
Ein Bericht enthüllt nach dem Unfall im Gotthard ein systematisches Bremsproblem bei Güterzügen. Experten warnen vor Katastrophen mit vielen Opfern.
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Das Wichtigste in Kürze
- Ein vertraulicher Bericht bringt neue Erkenntnisse zur Entgleisung des Gotthard-Güterzugs.
- Experten warnen von erneuter Entgleisung wegen systematischer Bremsprobleme.
- Seit dem Gotthard-Unglück 2023 wurden 77 Fälle von Rissen in Rädern entdeckt.
Es kann jederzeit erneut zur Entgleisung eines Güterzuges wie im Gotthard kommen. Das geht aus Recherchen der SRF-«Rundschau» hervor.
Zur Erinnerung: Am 10. August 2023 entgleiste ein Güterzug im Gotthard-Basistunnel, was zur Sperrung der Tunnelröhre für mehr als ein Jahr führte.
Der Unfall verursachte einen Schaden von etwa 150 Millionen Franken. Ursache des Unfalls war ein gebrochenes Rad am Wagen des Zuges.
Doch jetzt wird klar: Es war kein unglücklicher Zufall – das Problem liegt tiefer. Das ganze Bremssystem, das bei den meisten Güterwagen verwendet wird, ist betroffen.
Bericht enthüllt systematisches Bremsproblem
Eine vertrauliche Version des Abschlussberichts der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) liegt der «Rundschau» vor.
Der Sust-Bericht enthüllt, dass alle Räder des Unfallwagens «die gleichen Rissmerkmale aufwiesen», obwohl einige davon deutlich neuer waren.
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Diese Ermüdungsrisse entstehen durch «thermische Überlastung». Das bedeutet, dass das Rad sich irgendwann einmal erhitzt haben muss. Das passiert, wenn die Bremsen nicht vollständig gelöst sind.
Diese Überhitzung führt zu Rissen, die sich bis zum Radbruch ausdehnen.
«Möchte mir nicht vorstellen, wie viele Tote das gäbe»
Vier Eisenbahnexperten haben sich nun an die «Rundschau» gewandt. Sie warnen vor dem Risiko eines Radbruchs bei fast allen Güterwagen.
Gemäss den Experten wurden trotz der Erkenntnisse der Radprobleme nie Anpassungen der Wartungsvorschriften vorgenommen.
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Ein Güterwagen muss nur alle acht Jahre oder nach 660'000 Kilometern in den Service gebracht werden. Ein Auto muss in dieser Zeit zweimal vorgeführt werden.
Ruedi Beutler, ehemaliger Flottenchef der SBB, äussert seine Bedenken gegenüber SRF: «Wenn in einem Doppelspurtunnel ein Zug entgleist und gleichzeitig ein Zug entgegenkommt, möchte ich mir nicht vorstellen, wie viele Tote das gäbe.»
Beinahe-Katastrophe durch Zufall verhindert
Das systematische Sicherheitsproblem löste schon einmal eine Beinahe-Katastrophe im letzten November aus: Ein Güterzug, der durch die Schweiz fuhr, hatte einen durchgehenden Riss in einem Rad.
Erst in Italien wurde der Riss durch Zufall bei einer Bremsprobe entdeckt und der Zug gestoppt.
Laut Eisenbahnexperten war es pures Glück, dass das Rad nicht vorher brach und der Zug entgleiste. Von diesem Vorfall erfuhr die Öffentlichkeit nichts.
Experten fordern Behörden zum Handeln auf
Der vertrauliche Sust-Bericht enthüllt erschreckende Zahlen. Nach dem Unglück im Gotthard entdeckte eine europäische Taskforce 77 Fälle von Rissen. Bei zehn davon war das Rad gebrochen.
Doch mehr als eine unverbindliche Empfehlung für bestimmte Radtypen gab die europäische Aufsichtsbehörde nicht ab.
Die vier Eisenbahnexperten fordern die Verantwortlichen auf, Detektoren zu entwickeln, um Risse schneller zu erkennen. So sollen gefährliche Züge sofort gestoppt werden.
Sie appellieren auch an das Parlament, die Haftungsregelungen zu ändern: In Zukunft sollten die Halter von Güterwagen und nicht mehr das Transportunternehmen für Schäden haften.
Doch ein entsprechender Vorstoss wurde in der letzten Session vom Parlament knapp abgelehnt.