Amnesty International nimmt Stadler Rail in die Pflicht
Stadler Rail betreibt ein Werk in Minsk. Nichtregierungsorganisationen fordern den Zugbauer auf, Stellung zu den Protesten zu beziehen.
Das Wichtigste in Kürze
- In Belarus demonstrieren seit Tagen Tausende gegen Staatschef Lukaschenko.
- NGOs fordern Stadler Rail auf, sich gegen die Menschenrechtsverletzungen auszusprechen.
Die Republik Belarus (Weissrussland) ist im Ausnahmezustand. Nachdem Staatschef Alexander Lukaschenko vorletzten Sonntag wieder zum Präsidenten erklärt worden war, kippte die Stimmung.
Seither geht die Opposition auf die Strasse. Sie wirft dem Staatschef Wahlfälschung vor. Auch die EU-Staaten bezweifeln die Richtigkeit der Wahl – und wollen das Ergebnis nicht anerkennen.
Lukaschenko – auch «letzter Diktator Europas» genannt – greift mit harter Hand gegen die Protestierenden durch. Rund 7'000 Demonstranten wurden festgenommen, zwei Menschen getötet und mehr als 150 verletzt. Es sind die grössten Proteste, die Belarus je erlebt hat.
Die Wirtschaft ist gelähmt. Um Druck zu machen, werden auch grosse Industriebetriebe bestreikt. Experten glauben, dass so der Staatschef am schnellsten zum Aufgeben gedrängt werden kann.
Werk für 80 Millionen Euro gebaut
Auch Schweizer Firmen sind in Belarus tätig, bekanntestes Beispiel ist Stadler Rail. Der Zugbauer von alt Nationalrat Peter Spuhler (SVP) hat 2013 für rund 80 Millionen Euro ein Werk ausserhalb von Minsk eröffnet. Später wurde es weiter ausgebaut. Stadler Minsk beliefert vor allem Staaten der ehemaligen Sowjetunion.
Noch haben die Proteste keinen Einfluss auf das Unternehmen. «Wir spüren in unserem Werk in Weissrussland bislang keine Auswirkungen», sagt Sprecherin Marina Winder zu Nau.ch.
Lukaschenko und Spuhler kennen sich schon lange. Der Diktator lobte den Schweizer Unternehmer 2013 gar in seiner Rede zur Lage der Nation. «Was kann man zu so einem Mann sagen, der nicht nur viel verspricht, sondern bereits begonnen hat, diese Versprechen einzulösen?»
Peter Spuhler: «Wir liefern Züge fürs Volk»
Gegenüber der «Rundschau» sagte Lukaschenko ein Jahr später: «Ich schätze Peter Spuhler sehr. Er kam hierhin, sprach und handelte.» Der autoritäre Staatspräsident forderte mehrmals andere Unternehmen auf, nach dem Vorbild Stadler Rail in Belarus zu investieren.
Spuhler rechtfertigte damals seinen Deal mit dem Diktator. «Wir liefern die Züge ja nicht für den Präsidenten, sondern fürs Volk, das damit zur täglichen Arbeit fährt.»
Für die Nähe zu Lukaschenko gibt es für den Zugbauer Kritik von Amnesty International. Sprecher Beat Gerber erklärt, dass man sich zwar nicht prinzipiell gegen die Geschäftstätigkeit von ausländischen Firmen in autoritären Staaten ausspreche. «Allerdings tragen Unternehmen Verantwortung, Menschenrechtsverletzungen entgegenzustehen.»
«Stadler Rail muss sich gegen Menschenrechtsverletzungen aussprechen»
Amnesty ruft den Zugbauer auf, Kontakte und Einfluss in Belarus dazu zu nutzen, «um Menschenrechte gegenüber Regierungsvertretern anzusprechen». Es bestehe die Gefahr, dass Firmen zu Propagandazwecken missbraucht würden. «Wir empfehlen dem Unternehmen dringend, sich dezidiert gegen die laufenden, schweren Menschenrechtsverletzungen auszusprechen und diese Kritik auch öffentlich zu äussern. »
Nina Burri von Brot für alle beurteilt das Engagement ähnlich: «Unternehmen, die mit der Regierung Lukaschenko zusammenarbeiten, stehen angesichts der politischen Entwicklung in Weissrussland in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie nicht zu Komplizen von Menschenrechtsverletzungen werden.»
Ob Stadler Rail den Forderungen der Nichtregierungsorganisationen nachkommt, bleibt offen. Sprecherin Winder liess Fragen von Nau.ch zu Menschenrechtsverletzungen und der Beziehung zu Diktator Lukaschenko unbeantwortet.