Umfragen zeigen sowohl bei der BVG-Reform wie bei der Biodiversitätsinitiative Nein-Trends. Politologe Claude Longchamp erklärt die Gründe und blickt voraus.
Claude Longchamp im Nau.ch-Talk zu den Gründen hinter den schlechten Umfragewerten für die BVG-Reform. - Nau.ch/Nico Leuthold

Das Wichtigste in Kürze

  • Nein-Trends sowohl bei der BVG-Reform als auch der Biodiversitätsinitiative.
  • Politologe Claude Longchamp erklärt das Debakel der BVG-Reform trotz Parlaments-Mehrheit.
  • Der Biodiversitätsinitiative traut er hingegen einen Achtungserfolg zu.
Ad

Sowohl bei der BVG-Reform wie auch bei der Biodiversitätsinitiative zeichnet sich ein Nein am Abstimmungssonntag vom 22. September ab. Die Umfrage von GFS Bern im Auftrag der SRG ergab für beide Vorlagen mittlerweile einen Nein-Anteil von 51 Prozent. Die Umfrage von Tamedia sieht bei der BVG-Reform 59 Prozent Nein, bei der Biodiversitätsinitiative 56 Prozent.

Longchamp: «Ja-Mehrheit wäre Normalfall für BVG-Reform»

Bei Behördenvorlagen erwarte man, dass sie mit einer Ja-Mehrheit starteten, die dann nur noch grösser werde, sagt Politologe Claude Longchamp. Bei der BVG-Reform habe man eine andere Entwicklung gehabt: «Es hat bereits nicht mit einer Mehrheit angefangen – ein Alarmzeichen – und ging dann noch bergab.»

BVG-Reform Nein Abstimmung
«Nein! zum BVG-Bschiss». Plakate gegen die Pensionskassen-Reform fotografiert im Bahnhof Bern. - keystone

Als Gründe sieht Longchamp gleich mehrere Faktoren. Zum einen laute die Regel für komplexe Vorlagen: Vertrauen aufbauen: «Und genau das hat nicht stattgefunden», so Longchamp.

Da waren die Fehlprognosen bei der AHV – «ein Riesentheater». Dann die Vorwürfe während der ganzen Kampagne: «Die einen sagen, die Vorlage sei ein Bschiss. Die anderen sagen, die schwindeln bei ihrer Argumentation, haben falsche Zahlen verwendet.»

«Zum schlimmen Schluss» dann noch die Vorwürfe mit den gekauften Unterschriften. «Das hat mit der Vorlage eigentlich gar nichts zu tun, aber trägt zum klimatischen Element, dem Misstrauen bei.» Eine Ja-Argumentation für eine Vorlage, die per se nicht verstanden werde, sei sehr schwierig.

BVG-Reform: Parlament ist mitschuldig an Komplexität

Erfahrungsgemäss sagt das Stimmvolk bei komplexen Vorlagen im Zweifelsfall einfach Nein. Liegt dies bei der BVG-Reform nun am Thema oder weil sie überladen ist? «Ganz sicher liegt es mal an der Vorlage selber», sagt Politologe Claude Longchamp.

Wie wirst du zur BVG-Reform abstimmen?

So kompliziert sei sie ja eigentlich nicht, mit ihren drei Bestandteilen: Senkung des Umwandlungssatzes, Verbesserungen für Teilzeitler und Übergangslösung für die Jahrgänge kurz vor dem Rentenalter. Aber: «Nun gerät man in ein Dilemma, wenn man zum Beispiel für die Senkung des Umwandlungssatzes ist, aber gegen die Übergangslösung.»

So sei es die Kombination in einer Vorlage selbst, die Ambivalenz auslöse, was wiederum nicht förderlich sei, um Vertrauen aufzubauen. Hinzu komme, dass man mit Kompromissen Rechte, Linke und Mitte an Bord haben wollte: «Da hat man bald gesehen, dass ein ziemlicher Konflikt entstand», fasst Longchamp zusammen.

BVG-Reform fast unmöglich zu gewinnen

Die Gewerkschaften sagten in der Folge Nein, SP und Grüne folgten, dann auch noch Gastrosuisse und einige Bürgerliche. Die einen wegen des Umwandlungssatzes, die anderen wegen der Kompensationszahlungen oder dem Arbeitgeber-Beitrag.

BVG-Reform Information 2. Säule
Die BVG-Reform betrifft ausschliesslich die 2. Säule. (Symbolbild) - keystone

So viel Konflikt sei nicht gut für eine Behördenvorlage, meint Politologe Longchamp. Misstrauen, Komplexität und politischer Konflikt: «Dieses Gemisch als Ganzes hat dazu geführt, dass es fast nicht möglich ist, die Vorlage zu gewinnen.»

Biodiversitätsinitiative: Achtungserfolg in Reichweite

Dass die Stimmung bei der Biodiversitätsinitiative ins Nein kippte, führt Claude Longchamp auf die vertiefte Beschäftigung mit den Konsequenzen zurück. «Dann hat man einige Dinge gesehen: Zum Beispiel sind Energie- und Nahrungsmittelversorgung betroffen – zumindest haben dies die Gegner behauptet.» Bundesrat Albert Rösti habe das ganz prominent formuliert: «Wenn ihr dem zustimmen wollt, müssen wir halt AKWs bauen.»

Im Nau.ch-Talk sagt Politologe Claude Longchamp, warum die Biodiversitätsinitiative wohl abgelehnt wird, aber dennoch einen Achtungserfolg erzielen könnte. - Nau.ch/Nico Leuthold

So habe der ganz normale Prozess wie bei den meisten Initiativen stattgefunden: Im Verlauf der Kampagne sinkt der Ja-Anteil. Bei der Biodiversitätsinitiative sei immerhin aber möglich, dass dieser nicht unter 40 Prozent sinke. Also nicht wie bei thematisch ähnlichen Vorlagen wie der Massentierhaltung, die Grüne Wirtschaft oder die Trinkwasser-Initiative. Diese erreichten zwischen 36 und 39 Prozent Ja-Stimmen.

«Wir kennen die Schlussmobilisierung noch nicht bis ins Detail und ich denke, da kann noch einiges passieren», sagt Claude Longchamp. Unter 40 Prozent wäre unter normaler, ökologischer, rot-grün angehauchter Initiative abzuhaken: «Das Thema ist damit eigentlich gegessen.»

NBiodi
Biodiversität oder AKW – was sind die Folgen der Biodiversitätsinitiative? - keystone

Eine Initiative, die auf über 40 oder gar 45 Prozent komme, zeige dagegen schon: «Hier ist ein unterschätztes Problem, von der Bevölkerung hoch eingestuft, aber die Lösungen waren vielleicht nicht so gut.»

Unterstützt du die Biodiversitätsinitiative?

Es sei gut möglich, dass ein solcher Achtungserfolg stattfinde bei der Abstimmung über die Biodiversitätsinitiative. Denn die Initianten hätten sehr geschickt die politische Mitte angesprochen: «Die Mitte-Frauen sind dafür, die EVP ist dafür, kirchliche Kreise sind dafür.»

Dazu sieht Claude Longchamp ebenfalls Parallelen in der Vergangenheit, aber nicht bei ökologischen Initiativen: «Das erinnert mich eher etwas an die Situation der Konzernverantwortungsinitiative, auch wenn diese thematisch weit weg ist.» Diese scheiterte in der Volksabstimmung knapp am Ständemehr. Statt der Initiative wird nun der indirekte Gegenvorschlag umgesetzt.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

BiodiversitätsinitiativeTrinkwasser-InitiativeMassentierhaltungsinitiativeAlbert RöstiAbstimmungDie MitteBundesratParlamentGFS BernTamediaEnergieGrüneAHVEVPSRGSPBVG-Reform