Longchamp: Darum gibt's Nein-Trends bei Autobahn-Ausbau & Mietgesetz
Meist sagt das Stimmvolk Ja zu Vorlagen des Bundesrats. Politologe Claude Longchamp analysiert, warum bei Autobahn-Ausbau und Mietgesetz eine Klatsche droht.
Das Wichtigste in Kürze
- Beim Autobahn-Ausbau und den beiden Änderungen beim Mietgesetz gibt es Nein-Trends.
- Für Politologe Claude Longchamp ist klar: Das Ja-Lager hat Fehler gemacht.
- Regierungsmisstrauen spielt ebenfalls eine Rolle.
Autobahnen, Krankenkassen und Mieten: Es sind beliebte, weil umstrittene Themen, über die das Stimmvolk am 24. November befinden darf. Die neusten Umfragewerte haben diese Woche Laien und Experten aufhorchen lassen.
Globaler Trend: Misstrauen gegenüber der Regierung
Beim Autobahn-Ausbau und bei den beiden Mietrechts-Vorlagen ergeben sich je nach Umfrage Nein-Trends oder sogar Nein-Mehrheiten. Nur bei der Gesundheitsvorlage Efas ist das Bild uneinheitlich – mit vielen Unentschlossenen.
Der Bundesrat könnte also erneut eine Klatsche einstecken. Der Politologe Claude Longchamp bestätigt: Die Skepsis gegenüber der Regierung liegt derzeit im Trend.
«Alle Wahlen in diesem Jahr in grossen Staaten mit westlicher, demokratischer Ausrichtung haben die Regierungen verloren.» Das sei ein neues Phänomen: «Es gab noch nie ein Wahljahr, in dem es für die Regierungen so schwierig war.»
Daneben gebe es Schweizer Eigenheiten – wir haben Abstimmungen, nicht Wahlen. Bei den jüngsten Abstimmungen habe man von 40 Prozent oder mehr gesprochen, die der Regierung misstrauten. Das sei ein hoher Wert, verglichen mit um die 20 Prozent während der Pandemie.
Volk geeint in der Opposition zum Bundesrat
Er habe die Zahlen zum Regierungsmisstrauen gerade konsultiert und diese zeigten: Von 20 auf 30 Prozent dauerte es zwei Jahre, aber allein dieses Jahr stieg der Wert auf über 40 Prozent.
Der Knickpunkt sei eindeutig die Abstimmung im März über die 13. AHV-Rente. Die nachfolgende Nicht-Umsetzung des Volksentscheids habe – wie schon bei der SVP-Masseneinwanderungsinitiative – das Volk geeint in der Opposition. Dies werde die Abstimmungsergebnisse bei allen vier Vorlagen beeinflussen, glaubt Politologe Longchamp.
Er illustriert dies anhand der Vorlage zum Autobahn-Ausbau: Letztes Jahr lag die Zustimmung bei 55 Prozent, in der ersten Umfragewelle noch im tiefen 50er-Bereich. Jetzt aber schon unter 50-Prozent: «Eine leicht sinkende Tendenz – das ist schon einmal ein überraschendes Szenario für eine Behörden-Vorlage».
Öko-Themen out – aber nicht bei allen
Man habe vermutet, die Grünen und deren Anliegen seien out. Doch bei 35 oder 40 Prozent gebe es immer noch Zustimmung. «Wenn sie noch ein Zusatzelement drin haben, dann können sie auch stärker sein», erklärt Longchamp.
Nun habe sich aber die Befürworter-Kampagne verkalkuliert: Diese setzte auf diejenigen sechs Regionen, die vom Autobahn-Ausbau direkt profitieren würden. «Das haben sie gut gemacht und im Normalfall sagt die Schweizerin oder der Schweizer: ‹Wenn es für die Betroffenen von Vorteil ist, dann stimme ich auch Ja.›»
Doch dieses Mal könne es anders kommen: «Es wurde die Botschaft gesetzt, das gebe eine kurzfristige Entlastung, aber es gibt Nachbargemeinden, die dafür stärker belastet werden.» Und einige dieser Nachbargemeinden sind Städte. «Damit wurde die zentrale Botschaft der Ja-Seite recht stark neutralisiert», so Longchamp.
Frauen beim Autobahn-Ausbau unbeeindruckt von Männer-Meinung
Wenn das Ja-Komitee Fehler macht – was macht denn das Nein-Lager richtig, obwohl «grüne» Anliegen nicht gerade Konjunktur haben? Man sehe mit schöner Regelmässigkeit, dass es bei ökologischen Themen einen Unterschied gebe zwischen Männern und Frauen, konstatiert Claude Longchamp.
Grob verallgemeinernd: «Männer sind – mit einem grossen Wort – materialistischer. Frauen sind post-materialistisch, ökologischer ausgerichtet.» Diese Differenz existiere seit Jahren relativ konstant, meist hätten sich aber die Frauen im Verlauf des Abstimmungskampfes den Männern angeglichen.
Longchamp-Prognose: Nein zu Autobahn-Ausbau liegt in der Luft
Aber nicht so dieses Mal: Mit rund 18 Prozent Unterschied zwischen den Geschlechtern liege man im Rekordbereich. «Das heisst, dass das lebensweltliche Argument der Frauen sehr stark zieht.» Das allein reiche vielleicht noch nicht, aber zusammen mit der neutralisierten Botschaft der Befürworter eben schon.
«Wenn alle Agglomerationen kippen – alle, nicht nur die sechs betroffenen – dann hat die Nein-Kampagne zwei Dinge richtig gemacht: Die wichtigste Zielgruppe angesprochen und die wichtigsten Regionen für sich gewonnen.» Dann gebe das ein Nein an der Urne, sagt Claude Longchamp – mit einem Vorbehalt: «Beim zweiten bin ich noch nicht sicher.»
Mietgesetz: Befürworter kommen nicht auf Touren
Auch nicht sicher ist die Ausgangslage vorerst noch bei der Gesundheitsvorlage Efas. Bei den Mietgesetz-Vorlagen mit ihren Nein-Trends stimme hingegen der Eindruck: Die Befürworter kommen nicht so recht auf Touren, bestätigt der Politologe im Nau.ch-Talk.
«Es ist die Stiefkind-Vorlage von diesem Abstimmungs-Wochenende: Die Medien interessieren sich weitgehend nicht für das Thema.»
Normal wäre auch, dass der zuständige Bundesrat in der «SRF Arena» dazu auftreten und kraftvoll den Ja-Standpunkt vertreten würde. «Doch Guy Parmelin hat gesagt: ‹Je m’en fous, es interessiert mich nicht.›»
Claude Longchamp: Parmelin kann die Abstimmung «gewinnen»
Parmelin begründete dies damit, dass er im Parlament noch dagegen argumentiert habe und kaum glaubwürdig sei. Das Parlament habe ihn gezwungen, dafür zu sein, aber er sei es nicht. «Das ist fatal für eine Kampagne, wenn Dir der wichtigste Player sagt, es interessiert mich nicht, es ist unnötig.»
Nun sei es allerdings so, dass auch die Nein-Kampagne nicht wahnsinnig stark sei, aber einen Vorteil auf ihrer Seite habe. Mit SP-Nationalrätin Jacqueline Badran habe sie eine der wichtigsten Kommunikatorinnen auf der linken Oppositionsseite. Diese passe gut in die eingangs erwähnte Misstrauensstimmung.
Mit den in der Gesamtheit neutralen Medien, dem Geld tendenziell eher auf der Ja-Seite und dann doch ein Nein-Trend: Das könne nur eines heissen, sagt Claude Longchamp. «Guy Parmelin ist der ‹Matchwinner› –auf der Nein-Seite.»