Autobahnausbau: Wachstumsskepsis in der Schweiz «breit verankert»
Die Schweiz hat den geplanten Autobahnausbau abgelehnt. Grund dafür ist unter anderem die Wachstumsskepsis, von der auch die SVP profitieren könnte.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Grund für das Nein zum Autobahnausbau ist die zunehmende Wachstumsskepsis.
- Politanalyst Michael Hermann sagt, diese sei breit verankert – von links bis rechts.
- Am Sonntag profitierte Links-Grün. Doch auch die SVP könnte dies bald tun.
Der Autobahnausbau fand in der Schweizer Stimmbevölkerung keine Mehrheit. Knapp 53 Prozent lehnten die Vorlage ab – damit sind die sechs betroffenen Projekte vorerst vom Tisch.
Das Resultat kann unterschiedlich interpretiert werden. Auf der linken Seite sieht man darin ein klares Zeichen für einen umweltfreundlicheren Verkehr. Auf der rechten Seite interpretiert man das Nein dagegen eher als Votum gegen die Zuwanderung.
Politanalyst Michael Hermann vom Forschungsinstitut Sotomo sieht ebenfalls mehrere Gründe für das Scheitern der Vorlage. Gegenüber dem «Tages-Anzeiger» sagt er: «Dieses Nein ist in erster Linie ein Triumph für das ökologische Lager.»
Allerdings gebe es auch ein «wachstumskritisches Moment», führt der Experte aus: «Wir sehen in unseren Befragungen deutlich, dass die Schweiz unter Wachstumsschmerzen leidet. Viele Menschen haben das Gefühl, das Land wachse zu schnell.»
Man fürchte sich beispielsweise vor einer zunehmend grauen und zubetonierten Schweiz. Dies hätte der Autobahnausbau vorangetrieben.
Nein zum Autobahnausbau auch dank breiter Wachstumsskepsis
Genauere Daten liefert beispielsweise das im September von der Denkfabrik «StrategieDialog21» herausgegebene Chancenbarometer 2024. An diesem Projekt waren Michael Hermann und Sotomo ebenfalls beteiligt.
Dabei zeigt sich: Auf dem Land und bei den älteren Leuten ist die Beunruhigung zwar etwas grösser. Aber auch bei den Jungen oder in der Stadt ist die Skepsis gegenüber dem Wachstum vorhanden.
Michael Hermann hält gegenüber Nau.ch fest: «Die Wachstumsskepsis ist in der Schweiz sehr breit verankert.» Von dieser Grundstimmung haben die Autobahngegner und die Gegner der beiden Mietrechtsvorlagen profitiert, so der Experte.
Wichtig ist laut Hermann, dass Wachstumsskepsis nicht gleichbedeutend mit Zuwanderungsskepsis ist. «Wachstumsskepsis kann sich auf verschiedene Arten ausdrücken. Auf der rechten Seite macht man sich Sorgen wegen der Zuwanderung. Auf der linken Seite liegt der Fokus beispielsweise eher auf der Umwelt.»
Das kann man auch am Chancenbarometer ablesen. Wähler von Links-Grün schätzen die Folgen einer möglichen 10-Millionen-Schweiz zwar etwas weniger negativ ein als bürgerliche Wähler.
Aber gerade im Bereich Wohnen oder im Bereich Verkehr ist man auch links besorgt. Diese beiden Aspekte waren beim Mietrecht und beim Autobahnausbau im Fokus.
Über alle Parteien betrachtet hat der wahrgenommene Handlungsbedarf bei der Zuwanderung zwar zugenommen. Bei SP und Grünen ist er aber auf niedrigem Niveau stabil. Ein starker Anstieg ist vor allem bei den Wählern von Mitte, FDP und GLP oder bei den Parteilosen zu beobachten.
Auch SVP-Initiative könnte künftig profitieren
Bleibt die Frage, wer langfristig von einer solchen Wachstumsskepsis profitieren wird. Bei den Vorlagen vom vergangenen Sonntag war es eher die links-grüne Seite. Hermann betont aber: «Die aktuelle Stimmung hätte beispielsweise auch der SVP-Initiative gegen eine 10-Millionen-Schweiz geholfen.»
Bleibt die Stimmung so, sei diese sogenannte «Nachhaltigkeitsinitiative» sehr ernst zu nehmen, sagt Hermann. Gleichzeitig warnt der Experte davor, deshalb von einem garantierten Erfolg der Initiative auszugehen. «Jeder Abstimmungskampf hat sein Eigenleben.» Zumal sich die Wahrnehmung auch verändern kann, bis das SVP-Begehren vors Volk kommt.